Auszeichnung zur Top Kanzlei Medizinrecht 2021 von der Wirtschaftswoche

In seltenen Fällen kann die Geburt eines Kindes unerwartet zu einem medizinischen Notfall werden. Eine mögliche Situation ist die Schulterdystokie, eine der ernsthaftesten Komplikationen in der Geburtshilfe. 

Für Eltern, die das erleben, beginnt eine Zeit der Sorge und der Fragen: Hätte der entstandene Schaden verhindert werden können? War es ein unabwendbares Ereignis oder die Folge eines vermeidbaren Fehlers? Dieser Artikel bietet eine sachliche und rechtssichere Orientierung. Er erklärt, was eine Schulterdystokie ist, welche Folgen sie haben kann und welche juristischen Möglichkeiten betroffenen Familien offenstehen, um die Zukunft ihres Kindes zu sichern.

Was ist eine Schulterdystokie?

Eine Schulterdystokie ist ein geburtshilflicher Notfall, der definitionsgemäß eintritt, nachdem der Kopf des Kindes bereits geboren wurde. Dabei verhakt sich die vordere Schulter des Kindes hinter dem Schambein der Mutter, was die weitere Geburt des Körpers blockiert. 

Das stoppt den Geburtsvorgang abrupt und erfordert sofortiges, koordiniertes Handeln des Teams aus Ärzten und Hebammen. Die Häufigkeit beim Auftreten von Schulterdystokien liegt bei etwa 0,7 % aller Geburten.

Zu einer Schulterdystokie kommt es durch eine unvollständige Rotation der Schultern im Becken. Normalerweise drehen sich die Schultern in den weiten, schrägen Durchmesser des Beckens, um den Durchtritt zu ermöglichen. Bei einer Schulterdystokie unterbleibt diese Drehung. 

Das klinisch eindeutigste Warnsignal ist das sogenannte „Turtle Sign“ oder Schildkrötenzeichen: Der bereits geborene Kopf zieht sich wieder fest an den Damm der Mutter zurück. Das Erkennen dieses Zeichens markiert den Übergang von einer normalen Geburt zu einem hochkritischen Notfall. Ab diesem Moment unterliegt jede Handlung des medizinischen Personals und jede Verzögerung einer strengen juristischen Prüfung.

Risikofaktoren einer Schulterdystokie bei der Geburt

Obwohl eine Schulterdystokie plötzlich auftritt, gibt es bekannte Faktoren, die das Risiko erhöhen können.

Vorgeburtliche (antepartale) Risikofaktoren:

Während der Geburt (intrapartale) Risikofaktoren:

Trotz dieser bekannten Faktoren bleibt die Schulterdystokie ein fundamental unvorhersehbares Ereignis. Es gibt Studien, nach denen etwa die Hälfte aller Fälle bei Frauen ohne bekannte Risikofaktoren auftritt. 

Die Unvorhersehbarkeit hat eine weitreichende juristische Konsequenz: Jede geburtshilfliche Abteilung muss jederzeit auf diesen Notfall vorbereitet sein. Ein fehlender Notfallplan kann als Organisationsverschulden gewertet werden. 

Liegen gar erkennbare besondere Risiken vor, erhöht sich der Sorgfaltsstandard für das geburtshilfliche Team. Eine intensivere Aufklärung über die Alternative eines Kaiserschnitts kann dann rechtlich geboten sein.

Behandlung und mögliche Notfallmaßnahmen

Sobald eine Schulterdystokie diagnostiziert ist, muss das Team einem klaren, standardisierten Handlungsalgorithmus folgen. Die ersten Schritte sind das Rufen weiterer Hilfe und die Anweisung an die Mutter, das Pressen zu stoppen.

Anschließend können verschiedene etablierte Manöver zur Anwendung kommen, wie zum Beispiel:

Das McRoberts-Manöver, bei dem die Beine der Mutter stark an den Bauch gezogen und dann überstreckt werden, ist oft die erste und effektivste Maßnahme. Es wird häufig mit suprapubischem/suprasymphysärem Druck kombiniert, bei dem ein Helfer von außen gezielt Druck oberhalb des Schambeins ausübt.

Führen die ersten Schritte nicht zum Erfolg, sind innere Manöver erforderlich. Dazu gehören Rotationsmanöver (z. B. nach Rubin oder Woods) zur Drehung der Schultern oder die Entwicklung des hinteren Arms (Jacquemier-Manöver), um den Schulterdurchmesser zu verkleinern.

Bestimmte Handlungen sind bei einer Schulterdystokie absolut kontraindiziert und gelten bei Anwendung als schwerwiegender Behandlungsfehler:

Druck auf den oberen Teil der Gebärmutter ist streng verboten, da er die Einklemmung verstärkt und schwere Verletzungen verursachen kann.

Starkes Ziehen am Kopf des Kindes ist eine Hauptursache für Nervenschädigungen und muss unter allen Umständen vermieden werden.

Langzeitfolgen einer Schulterdystokie

Die Folgen einer Schulterdystokie können für Kind und Mutter gravierend sein. Die Schwere der Schäden hängt oft direkt von der Dauer der Verzögerung und dem Management des Notfalls ab.

Folgen für das Kind

Das ist die häufigste schwere Folge. Durch Dehnung oder Abriss des Armnervengeflechts (Plexus brachialis) kommt es zu einer Lähmung des Arms, die von vorübergehend bis zu dauerhaft und vollständig reichen kann.

Die verheerendste Komplikation. Durch die Kompression der Nabelschnur wird die Sauerstoffversorgung unterbrochen, was zu irreversiblen Hirnschäden wie einer Zerebralparese führen kann.

Frakturen des Schlüsselbeins oder Oberarms sind ebenfalls möglich.

Folgen für die Mutter

Häufig sind schwere Nachblutungen und höhergradige Dammrisse, die zu dauerhafter Inkontinenz führen können.

Die traumatische Erfahrung kann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Das deutsche Recht erkennt unter strengen Voraussetzungen auch einen eigenen Schmerzensgeldanspruch der Eltern für einen erlittenen „Schockschaden“ an.

Rechtliche Möglichkeiten bei einer Schulterdystokie

Ein „Geburtsschaden“ im juristischen Sinne liegt vor, wenn eine gesundheitliche Schädigung auf einen nachweisbaren „Behandlungsfehler“ zurückzuführen ist. Ein solcher Fehler ist eine Abweichung vom anerkannten medizinischen Facharztstandard.

Das fehlerhafte Management einer Schulterdystokie wird von Gerichten häufig als grober Behandlungsfehler gewertet. Ein Fehler gilt als „grob“, wenn er aus objektiver Sicht fundamental unverständlich ist und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Das ist beispielsweise der Fall, wenn das „Schildkrötenzeichen“ ignoriert oder eine kontraindizierte Maßnahme wie der Kristeller-Handgriff angewendet wird.

Die juristische Folge ist gemäß § 630 h Abs. 5 BGB die Umkehr der Beweislast. Normalerweise muss der Patient beweisen, dass der Fehler den Schaden verursacht hat. Bei einem groben Fehler muss nun die Klinik beweisen, dass der Schaden auch bei korrektem Handeln eingetreten wäre. Die Umkehr der Beweislast verbessert die Position der Familie im Rechtsstreit erheblich.

Ihre Ansprüche: Schmerzensgeld und materieller Schadensersatz

Wird ein Behandlungsfehler nachgewiesen, stehen dem geschädigten Kind umfassende Entschädigungsansprüche zu.

Das Schmerzensgeld ist eine Entschädigung für immaterielle Schäden wie Schmerzen, Leiden und den Verlust an Lebensqualität. Bei schweren Plexusparesen wurden zuletzt Schmerzensgelder bis zu 100.000 Euro zugesprochen, bei schweren Hirnschäden können die Summen im hohen sechsstelligen Bereich liegen.

Dieser materielle Anspruch sichert die finanzielle Zukunft des Kindes und ist oft der weitaus bedeutendere Teil. Er deckt alle vergangenen und zukünftigen Kosten ab, die durch den Schaden entstehen, wie:

Professionelle Hilfe bei einem Geburtsschaden

Ein Geburtsschaden ist ein tiefgreifender Einschnitt und das Geburtsschadensrecht ist ein hochkomplexes Spezialgebiet.

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