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Aufklärungs- und Behandlungs-
fehler im Detail.

Am 26. Februar 2013 ist das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz, BGBl. I 2013, 277) in Kraft getreten. Die bis dahin größtenteils durch die Rechtsprechung geregelten gegenseitigen Rechte und Pflichten aus einem Behandlungsvertrag sind nun ausdrücklich im Gesetz geregelt; die maßgeblichen Vorschriften finden sich in § 630 a bis 630h BGB und regeln die Behandlung durch niedergelassene Ärzte und Zahnärzte, die Behandlung im Krankenhaus und durch Vertreter anderer Heil- und Gesundheitsberufe, wie beispielsweise Physiotherapeuten, Hebammen usw.

 

Sie haben als Patient oder Patientin Anspruch auf eine Behandlung, die dem fachärztlichen Standard zum Zeitpunkt der Behandlung entspricht. Da jede Behandlung zugleich einen körperlichen Eingriff darstellt, sind Sie über Chancen und Risiken der Behandlung bzw. des Eingriffs aufzuklären. In der Patientenakte ist der Ablauf der Behandlung zu dokumentieren.

 

Das klingt logisch, aber es gibt eine Vielzahl von Defiziten rund um die Aufklärung und Behandlung. Konkret geht es um:

Aufklärungsfehler

Diagnosefehler

Befunderhebungsfehler

Dokumentationsfehler

Fehler im Anschluss an die Behandlung

Organisationsfehler

Hygienefehler

Aufklärungs-
fehler

Jeder Behandlungsmaßnahme, sei es konservativ oder operativ, sollte eine ordnungsgemäße Aufklärung vorangehen. Schließlich geht es um die eigene Gesundheit, und es ist wichtig zu wissen, wo Sie stehen und welche Aussichten auf Erfolg die Behandlung hat. In der Praxis geht es in diesem Punkt oftmals zu schnell: Das Arzt-Patienten-Gespräch ist unbefriedigend kurz, Sie verstehen die Zusammenhänge nicht und wollen aber auf die Einschätzung der Behandler vertrauen. Bedenken, Ängste und Sorgen werden nicht ausgeräumt und Fragen nicht abschließend beantwortet; stattdessen erhalten Sie einen Aufklärungsbogen, der mehrere Seiten umfasst, den Sie nach sorgfältiger Lektüre abzeichnen sollen; für Rückfragen bleibt oftmals keine Zeit. Wenn alles gut geht, gibt es keinen Anlass zur Sorge. Ist dem aber nicht so, heißt es oftmals: Hätte ich das nur gewusst …

 

Was ist wichtig zu wissen?

Liegt ein Aufklärungsversäumnis vor, ist ein Anspruch auf Schadenersatz denkbar. Die Verletzung der Aufklärungspflicht stellt – neben dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers – eine eigene Haftungsgrundlage dar.

 

Wie sieht eine ordnungsgemäße Aufklärung aus?

Die wesentlichen Pflichten für die behandelnde Person finden sich in § 630 c – e BGB: 

 

Dem Patienten/Der Patientin sind in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen (vgl. § 630 c BGB).

 

Jede Behandlung stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Vor der Behandlung hat sich die behandelnde Person daher der Einwilligung des Patienten/der Patientin zu versichern (vgl. § 630 d I 1 BGB).

Zu den für die Behandlung und damit auch für den Umfang der Aufklärung wesentlichen Umständen zählen nach § 630 e I BGB:

 

  • Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs
  • zu erwartende Folgen des Eingriffs
  • Risiken der Maßnahme
  • Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie

 

Die Rechtsprechung sagt, dass der Patient/die Patientin „im Großen und Ganzen“ aufgeklärt werden muss, d.h. ihm/ihr muss ein allgemeines Bild von der Schwere des Eingriffs und dessen Risiken vermittelt werden. Ein Aufklärungsversäumnis ist demnach insbesondere dann gegeben, wenn beispielsweise gar keine Aufklärung stattgefunden hat oder diese unzutreffend gewesen ist, weil insbesondere spezielle Risiken, Erfolgschancen falsch oder Risiken verharmlosend dargestellt worden sind.

 

Ein Aufklärungsfehler liegt auch dann vor, wenn für die Behandlung einer Krankheit medizinisch gleichermaßen in Betracht kommende Behandlungsmethoden mit anderen Risiken und Erfolgschancen zur Wahl stehen. Auch hier muss Ihnen durch vollständige ärztliche Belehrung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko Sie sich einlassen wollen. Andernfalls ist das Vorgehen des Arztes mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig.

 

Daneben hat die Aufklärung so rechtzeitig zu erfolgen, dass Sie als Patient/Patientin Ihre Entscheidung wohlüberlegt treffen können. Auch muss die Aufklärung für Sie verständlich sein, damit sie selbstbestimmt Ihre Entscheidung für oder gegen die Behandlung treffen können. Allenfalls in Situationen, die keinerlei Aufschub dulden, wie bei einer Notoperation, ist die Verpflichtung zur Aufklärung weniger streng; der Einzelfall ist hier entscheidend.

 

Was ist die Folge eines Aufklärungsfehlers?

Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Aufklärung, fehlt es dem Eingriff an der erforderlichen, selbstbestimmt getroffenen Einwilligung des Patienten/der Patientin. Damit ist der Eingriff rechtswidrig.

Die behandelnde Person bzw. die Praxis oder Klinik als verantwortlicher Rechtsträger des eingesetzten Personals haftet also selbst dann, wenn der Eingriff im Übrigen facharztgerecht ausgeführt wurde.

Dabei gilt die Besonderheit, dass beim Aufklärungsfehler die Sie behandelnde Person beweisen muss, dass die Aufklärung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

Diagnosefehler

Die zutreffende Diagnose ist das „A und O“ einer jeden Behandlung. Eine Fehlinterpretation kann mit eklatanten Folgen verbunden sein. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, die erhobenen Befunde richtig zu interpretieren und den Beschwerden der zu behandelnden Person sorgfältig nachzugehen. Der Behandler ist dabei vor eine schwierige Aufgabe gestellt, denn jeder Mensch ist anders, hat ein unterschiedliches Schmerzempfinden und oftmals ist die Symptomatik eben nicht eindeutig.

 

Vor diesem Hintergrund werden Diagnosefehler in der Rechtsprechung nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet, und zwar nur dann, wenn sich die Diagnose als fundamental falsch erweist. 

 

Die Bewertung von Diagnosefehlern als relevante und behandlungsfehlerhafte Standardunterschreitung gestaltet sich deshalb schwierig.

Befunderhebungs-
fehler

Vielfach ist Thema einer Auseinandersetzung, dass es versäumt worden ist, die gebotenen Befunde zu erheben. Bei den zahlreichen Möglichkeiten, die heute mittlerweile die Diagnostik allein über die Bildgebung bietet, wie beispielsweise Ultraschall, MRT und CT, sind es oftmals diese Befunde, die der Kontrolle zur Sicherung oder Findung einer Diagnose dienen. 

 

Die Abgrenzung zum Diagnosefehler ist schwierig: Geht es „nur“ darum, einen erhobenen Befund falsch interpretiert zu haben (sog. Diagnosefehler) oder liegt der Schwerpunkt des Vorwurfs darin, die Erhebung von Befunden versäumt zu haben (sog. Befunderhebungsfehler)?

 

Vernachlässigt werden darf die Differenzierung bei der Beurteilung des medizinischen Sachverhaltes schon deshalb nicht, da Diagnosefehler nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (siehe Diagnosefehler).

 

Aber auch aus Gründen der Beweisführung ist die Abgrenzung entscheidend: Vom Grundsatz her ist es der geschädigte Patient/die geschädigte Patientin, der/die einen schadensursächlichen Behandlungsfehler zu beweisen hat.

 

Beim Befunderhebungsmangel ist das anders.

 

Schon die Annahme eines einfachen Befunderhebungsfehlers ist mit wichtigen Beweiserleichterungen verbunden: In diesen Fallgestaltungen hat es die Behandlerseite zunächst einmal unterlassen, einen medizinisch gebotenen Befund zu erheben oder zu sichern. Lässt sich dann herausarbeiten, dass die Erhebung eines solchen Befundes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Ergebnis gebracht hätte und man für die Nichtreaktion auf diesen (hypothetischen) Befund bzw. dessen Übergehung keinerlei Verständnis aufbringen könnte, dann kann die geschädigte Person das Vorliegen eines schadensursächlichen Behandlungsfehlers untermauern.

 

Ist bereits das Unterlassen der Erhebung des Befundes als grob behandlungsfehlerhaft einzuordnen (grober Befunderhebungsfehler), führt schon dies zur Beweislastumkehr für den Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Primärschaden. 

Dokumentations-
fehler

Dass die Behandlung zu dokumentieren ist, ergibt sich aus § 630 f BGB.

 

Grundsätzlich sind all die Umstände, die für die Diagnose und Therapie nach medizinischem Standard und deren Aufzeichnung für die weitere Behandlung des Patienten/der Patientin medizinisch erforderlich sind, vollständig zu dokumentieren.

 

Oftmals lässt sich aufgrund mangelhafter und unvollständiger Dokumentation aber nicht rekonstruieren, wie vorgegangen worden ist.

 

Die Streitpunkte sind dann vielschichtig.

 

Ein Behandlungsfehlervorwurf lässt sich nur durch eine nicht vollständige Dokumentation nicht begründen. Aber Beweiserleichterungen zugunsten der geschädigten Person greifen. Verbleiben aufgrund der vorhandenen Dokumentation Zweifel, ob überhaupt und wie einzelne Maßnahmen durchgeführt worden sind, streitet zugunsten der Patientenseite wenigstens eine Vermutung, dass die gebotene Maßnahme unterlassen worden ist. Es ist dann Aufgabe der Behandlerseite, diese Vermutung auszuräumen.

 

Reicht der Vorwurf im Zusammenhang mit dem Dokumentationserfordernis deutlich weiter und ist für die fehlende, mangelhafte oder unvollständige Dokumentation gar kein Verständnis mehr aufzubringen, führt dieser Umstand sogar unmittelbar zu einer Beweislastumkehr auch hinsichtlich des Kausalzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden. Das gilt auch dann, wenn aufgrund der fehlenden Dokumentation vermutet werden kann, dass der Arzt eine medizinisch gebotene Maßnahme unterlassen hat, bei deren Durchführung ein so schwerwiegender Befund hinreichend wahrscheinlich gewesen wäre, dass sich dessen Verkennung als fundamental dargestellt hätte. 

Fehler im Anschluss an die Behandlung

In § 630 c Abs. 2 Satz 1 BGB heißt es: „Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.“

 

Dies beinhaltet beispielsweise, dass Sie eine ausreichende ärztliche Information oder Anweisungen erhalten müssen, wenn Sie vorhaben, eine gebotene stationäre Aufnahme ablehnen zu wollen oder beispielsweise, wenn Sie sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen wollen. Die Sie behandelnde Person darf dies nicht einfach als gegeben hinnehmen. In solchen Fällen ist Ihnen die Dringlichkeit der gebotenen Behandlung klarzumachen.

 

In Rechtsprechung und Literatur werden Versäumnisse im Bereich der Aufklärung über ein therapiegerechtes Verhalten zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung möglicher Selbstgefährdungen unter dem Begriff der „Sicherungsaufklärung“ bzw. dem Begriff der „therapeutischen Aufklärung“ oder der „therapeutischen Sicherungsaufklärung“ abgehandelt.

Auch wenn der Begriff ein Aufklärungsversäumnis beinhaltet, wird eine nicht hinreichende therapeutische Aufklärung wie ein Behandlungsfehler behandelt. Das ist deshalb relevant, weil diese Einstufung dazu führt, dass die geschädigte Person beweisen muss, dass dieser Fehler die Ursache des eingetretenen Gesundheitsschadens ist. Die Ausgangssituation ist daher weitaus schwieriger als bei anderen Aufklärungsversäumnissen, bei denen die behandelnde Person die Beweislast für die korrekte Aufklärung trägt.

Organisations-
fehler

Aus Sicht des Patientenanwaltes bzw. der Patientenanwältin lohnt es sich, für den geschädigten Patienten/Patientin auch einen Blick auf die Organisationstrukturen des Krankenhauses oder einer Arztpraxis zu werfen.

 

Sowohl der Krankenhausträger als auch der Praxisbetreiber haben in organisatorischer Hinsicht durch geordnete Arbeitsabläufe, sorgfältige Auswahl, Anweisung und Überwachung ihrer Mitarbeiter, Sicherstellen der Funktionsfähigkeit der von ihnen vorgehaltenen medizinischen Geräte etc. die facharztgerechte Behandlung sicherzustellen. Es geht damit um Qualitätssicherung in der medizinischen Versorgung.

 

Ist beispielsweise der behandelnde Arzt durch einen vorangehenden Nachtdienst übermüdet und deshalb nicht mehr in der Lage, mit der erforderlichen Konzentration und Sorgfalt zu operieren, kommt (auch) ein Organisationsverschulden in Betracht. Oder: Wenn in der Ambulanz/Aufnahme einer Kinderklinik bei der Maximalversorgung nicht sichergestellt ist, dass die Beurteilung des Zustandes eines neugeborenen Kindes, das ohne Einlieferungsschein in die Klinik gebracht wird, im angemessenen zeitlichen Rahmen durch einen erfahrenen Arzt vorgenommen wird.

Hygienefehler

Es steht außer Frage, dass die Folgen mangelnder Hygiene schwerwiegend sein können. Nicht selten nimmt eine Infektion einen katastrophalen Verlauf, ist also verbunden mit einem weitreichenden gesundheitlichen Schaden.

 

Ob die Infektion tatsächlich auf die Nichteinhaltung von Hygienevorschriften zurückgeht, ist nicht einfach nachzuweisen. Allein das Auftreten der Infektion im Rahmen der Behandlung lässt nicht den Rückschluss zu, dass Hygienevorschriften nicht eingehalten worden sind. Die Darlegungs- und Beweissituation des Patienten im Zusammenhang mit Hygienevorwürfen folgt nämlich dem allgemeinen Grundsatz, dass die geschädigte Person das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden zu beweisen hat. Allein die Sachverhaltsaufklärung ist deshalb oftmals äußerst schwierig.

 

Die Rechtsprechung hat dies erkannt und rückt mehr und mehr bei der Prüfung solcher Fallgestaltungen eine sachgerechte Organisation und Koordinierung der Behandlungsabläufe sowie die Einhaltung der Hygienebestimmungen und deren Dokumentation in den Vordergrund.

 

Steht fest, dass die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen sein muss, hat der Behandler für die Folgen der Infektion einzustehen, es sei denn, er kann sich im Einzelfall entlasten. Es kommt zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen über das voll beherrschbare Risiko.

 

Ist die Infektionsquelle hingegen ungeklärt, soll dies nicht gelten, und es wird deutlich komplizierter:  Ergeben sich aus den Schilderungen der erkrankten Person überhaupt Hinweise für Fehler bei der (Krankenhaus-) Hygiene? Und was kann die Behandlerseite entgegen, insbesondere, was hat sie zur Sicherstellung der Hygienestandards unternommen?

 

Festzuhalten bleibt: Ein aussagekräftiges Ergebnis zur Ursache der Erkrankung wird nicht ohne die Beurteilung eines medizinischen Sachverständigen zu treffen sein. Dessen Aufgabe ist es, anhand der getroffenen und darzulegenden internen Hygienemaßnahmen zu bewerten, ob Fehler bei der Hygiene vorlagen oder nicht, die sich für die eingetretene Infektion/Erkrankung verantwortlich zeichnen.