Auszeichnung zur Top Kanzlei Medizinrecht 2021 von der Wirtschaftswoche

Einzelne Geburtsschäden im Detail.

Geburtsschaden ist nicht gleich Geburtsschaden. Auch kommen verschiedene Ursachen für einen Geburtsschaden infrage. Konkret geht es vielfach um:

Sauerstoffmangel während der Geburt
Die nicht oder nicht rechtzeitige Durchführung eines Kaiserschnitts
Zangen-und/oder Saugglockentbindung
Die festhängende Schulter
Zustand nach Sectio
Beckenendlage
Versorgung und Überwachung des Neugeborenen
Geburtsverletzungen der Mutter

 

Im Rahmen von Geburtsschadensprozessen spielt daher der prüfende Blick auf die Betreuung in der Schwangerschaft, während der Geburt und die Versorgung des neugeborenen Kindes eine Rolle. 

Sauerstoffmangel
während der Geburt

Nicht selten haben wir es in der medizinrechtlichen Beurteilung mit Fällen zu tun, in denen das Kind bereits im Mutterleib einer gefährdenden Situation ausgesetzt gewesen ist. Es sind die Fallkonstellationen, in denen das Kind einen schwerwiegenden und irreparablen Hirnschaden aufweist, der in Zusammenhang mit einem eklatanten Mangel in der Sauerstoffversorgung des Kindes unter der Geburt zu sehen ist. Die Rede ist dann von einem perinatal erworbenen Hirnschaden, einem Cerebralschaden, einer hypoxisch ischämischen Enzephalopathie (kurz: HIE).

 

Die Ursachen können vielfältig sein. Eine Mangelversorgung kann mütterlicherseits bedingt sein. Zu denken ist etwa an eine Plazentastörung, die die Versorgung des Kindes mit ausreichend Sauerstoff gefährdet, zum Beispiel eine Plazentainsuffizienz oder eine vorzeitige Plazentaablösung.

 

Auch fetale (kindliche) Ursachen sind nicht selten. Dazu gehören insbesondere Nabelschnurumschlingungen und Nabelschnurkompressionen.

 

Bei der Frage nach dem „Warum“ und „Hätte die schwerwiegende Schädigung nicht vermieden werden können?“ ist eine sorgfältige Aufarbeitung des Geburtsverlaufes unerlässlich. Denn es gibt verschiedene Faktoren, die auf eine gefährdende Sauerstoffunterversorgung hinweisen können, beispielsweise:

  • Abgang von Mekonium (grünen Fruchtwassers) als Hinweis auf eine Stresssituation, der das Kind ausgesetzt ist
  • eine Veränderung der kindlichen Herztöne (Tachykardie: Erhöhung der Herzfrequenz – Bradykardie: erniedrigte Herzfrequenz)
  • Wehenstürme

 

Bei der Haftungsfrage/Beurteilung der Verantwortlichkeit kommt es darauf an, ob möglicherweise richtungsweisende Befunde erst gar nicht erkannt worden sind oder ob trotz solch richtungsweisender Befunde mit der richtigen Maßnahme und/oder zeitlich korrekt reagiert worden ist.

 

Besondere Bedeutung kommt dabei dem Kardiotokogramm (CTG) zu.

 

Ist das CTG korrekt aufgezeichnet und ausgewertet worden? Schließlich spiegelt dieses die kindlichen Herztöne und auch deren Schwankungen wider.

 

Hätte Veranlassung bestanden, sich mittels Mikroblutanalyse/Blutgasanalyse über ausreichend vorhandene Sauerstoffreserven des Kindes ein Bild zu verschaffen?

 

Auch wenn das auf den ersten Blick überschaubar klingt, drängen sich ärztliche Versäumnisse oder aber des involvierten nichtärztlichen Personals, wie der Hebammen, in den seltensten Fällen auf. Ob eine relevante Unterschreitung des Facharztstandards vorliegt, die zur Geburt des schwerstgeschädigten Kindes geführt hat, bedarf deshalb nicht nur der juristischen, sondern auch der medizinischen Expertise. 

Die nicht oder nicht rechtzeitige Durchführung eines Kaiserschnitts

Die Sectio (Kaiserschnitt, Schnittentbindung, abdominelle Entbindung, Sectio caesarea) ist die weltweit häufigste Operation bei Frauen – und die Rate nimmt global stetig zu (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.: www.dggg.de/presse).

 

Die Indikation zur Durchführung eines notfallmäßigen Kaiserschnitts (Notsectio) ist durch eine akut lebensbedrohliche Situation des Kindes und/oder der Mutter geprägt. Ursache einer solchen Notfallsituation sind beispielsweise ein anhaltender Abfall der kindlichen Herztöne, vorzeitige Plazentalösung, starke vaginale Blutungen, eine Uterusruptur.

 

Die aktuelle Leitlinie der DGGG „Die Sectio caesarea“ (abrufbar unter:   https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-084.html)  formuliert hierzu:

 

  1. 1. Unmittelbare Lebensbedrohung für Mutter oder Fetus

    Diese Kategorie beinhaltet unter anderem eine akute, schwere therapieresistente Bradykardie, einen Nabelschnurvorfall, eine Uterusruptur sowie einen pH-Wert von ≤ 

    7,20 als Ergebnis einer Fetalblutanalyse.

  2. 2. Maternale oder fetale Beeinträchtigung, die nicht unmittelbar lebensbedrohlich ist

    Hier liegt Dringlichkeit der Geburtsbeendigung vor, um eine Verschlechterung des Outcome für Mutter und/oder Kind(er) durch eine bestehende Pathologie zu vermeiden. Hierzu gehört beispielsweise ein Geburtsstillstand, der mit einer sich bereits abzeichnenden mütterlichen oder kindlichen Gefährdung einhergeht.

 

In den vorgenannten Konstellationen, insbesondere bei dem der unmittelbaren Lebensbedrohung, soll die Durchführung der Sectio unverzüglich nach der Indikationsstellung erfolgen. Der Zeitbedarf zwischen Indikationsstellung und Geburt des Kindes (sogenannte Entschluss-Entwicklungs-Zeit = E-E-Zeit) soll maximal 20 Minuten betragen.

 

Nicht nur das Erkennen einer solch akuten Gefährdungssituation, sondern auch die schnellstmögliche Entbindung und Versorgung von Mutter und Kind stellt das gesamte Geburtshelferteam in Organisation und Ablauf vor besondere Herausforderungen. Zugleich liegt in dem Erkennen einer akuten Gefährdungssituation und der Notwendigkeit, die Zeit bis zur Entbindung des Kindes kurz zu halten, eben genau das Potential haftungsrechtlich relevanter Standardunterschreitungen.

Zangen- und/oder Saugglocken-
entbindung

Die Geburt unter Einsatz einer Zange wird medizinisch „Forzepsentbindung“ und diejenige mittels Glocke „Vakuumentbindung“ genannt. Die Entbindung wird unter Einsatz eines Instrumentes durchgeführt und wird zur Beseitigung einer akuten Bedrohung des Kindes (pathologisches CTG, Sauerstoffmangel des Feten unter der Geburt), aus mütterlicher Indikation (wie Erschöpfung der Mutter) oder aus kombinierter Indikation (Geburtsstillstand) vorgenommen.

 

Mütterliche Verletzungen wie Damm-, Scheiden- und Zervixrisse werden von der Wahl des Instrumentes beeinflusst. Der Forzeps scheint am effektivsten für die Geburtsbeendigung, allerdings mit dem Risiko häufigerer Geburtswegsverletzungen:  Verletzungen der Vagina und des Perineums, eine höhere Rate an Flatusinkontinenz, eine höhere Rate von Allgemeinanästhesien; auch zeigt sich ein Trend zu höherer Sectiorate nach erfolglosem Forzeps.

 

Die Wahl des Instrumentes beeinflusst zugleich mögliche kindliche Verletzungen: Kephalhämatome, Skalpverletzungen – zeigen sich eher bei der Vakuumentbindung.

 

Schädelfrakturen und intrakranielle Blutungen sollten bei richtiger Operationstechnik bei beiden Methoden nicht vorkommen.

 

Die instrumentelle Entbindung ist verständlicherweise an gewisse Vorbedingungen geknüpft. Dazu zählen insbesondere die vollständige Eröffnung des Muttermundes, der Höhenstand des kindlichen Köpfchens in Beckenmitte / auf Beckenboden wie auch Haltung und Einstellung des Kindes. Natürlich gilt es auch, die Mutter in den weiteren Ablauf miteinzubeziehen und sie dabei insbesondere ordnungsgemäß über das Für und Wider der vaginalen Entbindung aufzuklären und dabei möglicherweise auch alternativ eine Entbindung durch Kaiserschnitt anzusprechen.

 

Fehlerquellen, die eine Haftung nach sich ziehen können, können dementsprechend in einer unzureichenden Aufklärung, einer nicht korrekt indizierten oder nicht korrekt ausgeführten vaginalen Entbindung liegen.

Die festhängende Schulter – Schulterdystokie

Nicht selten bleibt das Kind bei seiner Geburt mit der Schulter im Geburtskanal stecken; es rotiert nicht in der notwendigen Art und Weise, kann nicht austreten und ist damit der Gefahr einer Sauerstoffunterversorgung ausgesetzt. Eine sicherlich herausfordernde Situation für die Geburtshelfer. Schnelles und zielgerichtetes Handeln ist nötig. Dementsprechend ist die Schulterdystokie als geburtshilflicher Notfall anzusehen.

 

Es gibt bestimmte Risikofaktoren, bei denen man den Eintritt einer Schulterdystokie im Auge haben muss. Diese hängen im Wesentlichen mit einer Enge der Beckenverhältnisse zusammen: Die Mutter ist beispielsweise sehr klein, das Becken ist eng. Oder: Das Kind ist nach dem zu erwartenden Geburtsgewicht einfach sehr groß und schwer und hat infolgedessen absehbar Schwierigkeiten, in den Geburtskanal ein- und auszutreten.

 

Tritt eine Schulterdystokie ein und wird sie auch als solche erkannt, gibt es natürlich Maßnahmen, die grundsätzlich geeignet sind, diesen Zustand zu beheben, sprich die Schulter zu lösen. Das McRoberts- Manöver gehört als erste Maßnahme dazu; hierdurch soll eine Stellungsänderung der Symphyse bewirkt werden, indem die Beine der Mutter ausgestreckt schließlich angewinkelt bauchwärts geführt werden. Bleibt dies erfolglos, kommen innere Rotationsmanöver zum Einsatz (Rubin- oder Woodsmanöver), deren Ziel es ist, die Schulter manuell durch den Geburtshelfer zu lösen.

 

Schwerste traumatische Verletzungen des Plexus, des Nervengeflechts, welches für die Beweglichkeit der oberen Extremitäten verantwortlich ist, entstehen oftmals durch ein nicht fachgerechtes Vorgehen und insbesondere zu starkem Zug am kindlichen Kopf. Ausrissverletzungen, Zerreißungsschäden des Nervengeflechts sind die Folge. Der betroffene Arm hängt, kann nicht nach oben geführt werden, die Hand ist nicht einsatzfähig. Dies beeinträchtigt in der Folge nicht nur die Bewältigung der kleinen Dinge im Alltag, sondern hat auch oftmals weitreichende Folge für die spätere Berufswahl.

 

Ob die Verletzung des Plexus (Plexusparese) schicksalhaft eingetreten, eine Sauerstoffunterversorgung im Zusammenhang mit der Behebung der Schulterdystokie auf ein nicht facharztgerechtes Vorgehen zurückzuführen ist, hängt von vielen Faktoren ab. Eine Rolle spielt die vorhergehende zureichende Befunderhebung, beispielsweise der Ultraschalluntersuchung für die Gewichtsbestimmung, das Erkennen von übrigen Risikofaktoren, die richtige Wahl des Geburtsmodus mit ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter über die mögliche Alternative zur Entbindung durch Kaiserschnitt (Sectio), das Nichtdurchführen oder eben nicht facharztgerechte Durchführen der Maßnahmen zur Überwindung der Schulterdystokie.

Zustand nach Sectio

Einmal Sectio (Kaiserschnitt), immer Sectio?

 

Der Wunsch der Mutter nach einer regelhaften, normalen Geburt bleibt oftmals bestehen. In Fällen, in denen die Mutter aber bereits eine Schnittentbindung (Kaiserschnitt, Sectio) hinter sich hat, drängt sich Frage auf, ob hinsichtlich des Geburtsmodus überhaupt eine Alternative besteht. Schließlich besteht bei einer erneuten Geburt bei Zustand nach Sectio das erhöhte Risiko einer Uterusruptur. Dieses kann durch zusätzliche Faktoren um ein weiteres erhöht sein, beispielsweise, wenn die Sectio weniger als 12 Monate zurückliegt, eine fetale Makrosomie des Kindes („großes, gewichtiges Kind“) vorliegt. Eine engmaschige Überwachung ist daher notwendig.

 

Eine Uterusruptur gehört zu den schlimmsten Ereignissen, die der werdenden Mutter und dem ungeborenen Kind widerfahren kann. Die Mutter kann verbluten, das Kind kann sterben. Es wundert also nicht, dass die Uterusruptur ein vielfach diskutiertes Problem nach einem Kaiserschnitt darstellt.

 

Inhaltlich geht es nicht nur um die Frage, ob die werdende Mutter ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist. Ebenso wichtig ist, ob mögliche Symptome, die auf eine drohende Uterusruptur hindeuten, rechtzeitig erkannt worden sind bzw. als solche hätten erkannt werden müssen. Darüber hinaus ist zu beachten, ob rechtzeitig die entsprechenden geburtshilflichen Maßnahmen ergriffen worden sind, um gesundheitlichen Schaden von Mutter und Kind abzuwenden.

Beckenendlage

Bei der Beckenendlage handelt es sich um eine pathologische Kindslage, die ein Schwangerschafts- und Geburtsrisiko darstellt. Denn es ist nicht der Kopf, sondern der Steiß, der zuerst geboren wird. Die vaginale Entbindung bei Beckenendlage ist also sehr anspruchsvoll.

 

Demzufolge drängt sich die Frage auf, welche Entbindungsart bei Beckenendlagen für das Kind und die Mutter die bessere ist. Viele Geburtshelfer sind der Auffassung, dass die vaginale Entbindung bei Beckenendlage bei einer Risikobetrachtung der Sectio überlegen ist, sie zumindest eine im Vergleich wertige Behandlungsalternative darstellt, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.

 

Wünscht die Schwangere daher eine vaginale Entbindung bei Beckenendlage, kann diesem Wunsch durchaus entsprochen werden. Da aber eben auch eine Kaiserschnittentbindung möglich ist, geht es auch hier um individuelle Beratung und Aufklärung der Schwangeren, das Erkennen von möglichen Kontraindikationen, die gegen eine Spontangeburt aus Beckenendlage sprechen, um Gewährleisten organisatorischer Strukturen in der Geburtsklinik und die Erfahrenheit der Geburtshelfer, um eine vaginale Entbindung aus Beckenendlage vorzunehmen.

Versorgung und Überwachung des Neugeborenen

Die postnatale Versorgung, also diejenige nach der Geburt, bietet nicht selten Anlass zu Beanstandungen.

 

Dabei geht es nicht nur um die Fälle, in denen das Neugeborene bereits schwer beeinträchtigt, mit eklatantem Sauerstoffmangel auf die Welt gekommen ist (schwer asphyktisch) und reanimiert werden muss; es sind auch die Konstellationen, in denen bei dem Neugeborenen zunächst einmal alles gut zu sein scheint, dann aber eine Zustandsveränderung eintritt, es beispielsweise eine veränderte Hautfarbe zeigt, anfängt zu grimassieren, lethargisch wirkt, seine Bewegungen nachlassen oder Krampfanfälle auftreten.

 

In solchen Fallkonstellationen bleibt kein Raum für Improvisation. Es muss vielmehr ein erfahrenes Team zum Einsatz kommen, das notwendige Equipment muss zur Verfügung stehen, beispielsweise wenn es um die Reanimation und anschließende zureichende Versorgung mit Sauerstoff geht. Gesicherte Behandlungsabfolgen durch Einsatz qualifizierten ärztlichen wie nichtärztlichen Personals sind entscheidend für den Erfolg. 

Geburtsverletzungen
der Mutter

Geburtsverletzungen der Mutter sind nicht selten und können ein gravierendes Ausmaß annehmen. Häufig rückt dabei die Freude über das Neugeborene in den Hintergrund, da die Beeinträchtigungen im Bereich des Beckenbodens so schwer wiegen, dass die Bewältigung des Alltags einer Tortur gleichkommt.

 

Die möglichen Verletzungen reichen von winzigen Faserrissen und Blutergüssen (Hämatomen) bis hin zu weitreichenden Dammrissen, Verletzungen des Schließmuskels. Harn- und Stuhlinkontinenz sind ebenfalls nicht unüblich.

 

Ob diese im Zusammenhang mit einem fehlerhaften Geburtsmanagement liegen, ist nicht einfach zu beantworten. Oftmals spielt die Gegenüberstellung der Möglichkeit einer normalen Geburt zu derjenigen mittels Zange- oder Glocke (Forceps oder Vakuumgeburt) eine entscheidende Rolle. Auch drängt sich vielfach die Frage auf, ob nicht ein Kaiserschnitt (Sectio) möglich gewesen und die Verletzungen so hätten vermieden werden können. In den Fokus der medizinrechtlichen Bewertung rückt damit nicht nur die Frage nach einem Behandlungsfehler, sondern insbesondere auch die der hinreichenden Aufklärung der Mutter.